Ein gemeinsames online Arbeitsgruppen-Treffen der mbuf Dynamics Arbeitsgruppen Mitte Juni diesen Jahres sollte unter der Überschrift „Dynamics 365 & Business Apps? Teufelszeugs oder ein Weg nach vorne?“ ein wenig Licht in die weitere Entwicklung der Dynamics ERP/CRM-Lösungen von Microsoft bringen. Arbeitsgruppenleiter Thomas Doering und mbuf Geschäftsführer Marc Alvarado konnten hierzu Partner Director Of Engineering for Dynamics 365 Finance, Project Operations and Human Resources Michael Gall und Microsoft Sr. Cloud Solution Architect – Business Applications Christian Mainka sowie SMC Germany Technical Director Clodagh Moriaty als Referenten seitens Microsoft gewinnen. So viel vorweg: Es sollte ein sehr interessanter Nachmittag werden!

Ziel der Veranstaltung war es darüber hinaus, die Interessenlage der mbuf Mitgliedsunternehmen im Hinblick auf die Anwendung der unterschiedlichen Dynamics Lösungen im „daily business“ zu skizzieren und daraus dann Themen für künftige Treffen und Hinweise für die grundsätzliche Ausrichtung der Dynamics AG’s abzuleiten.

Dynamics 365 – wo geht die Reise hin?

Michael Gall stellte in seiner Präsentation heraus, dass die Dynamics Anwenderunternehmen um eine Aktualisierung ihrer jeweiligen Applikationsumgebungen nicht herumkommen werden. „ERP modernization is no longer optional“ war das Credo. Aber warum ist das aus Sicht von Microsoft so?

Längst sind die ursprünglichen Lösungen Dynamics AX, Dynamics NAV und Dynamics CRM unter dem Dach von D365 zusammengewachsen. Zwar gibt es D365 derzeit den jeweiligen Anwendungsschwerpunkten folgend noch in unterschiedlichen Ausprägungen wie z.B. D365 F&O für Produktionsunternehmen oder D365 Business Central für SMB’s (insgesamt gibt es im Bereich Dynamics 365 derzeit 15 Applikationen, nachzulesen auch auf einer von Microsoft gepflegten Seite bei Wikipedia à https://en.wikipedia.org/wiki/Microsoft_Dynamics_365), aber es handelt sich hierbei wie gesagt um Ausprägungen, die letztlich einem gemeinsamen Architekturansatz folgen und in erster Linie als cloud-basierte Lösungen zu sehen sind.

Microsoft sieht sich mit seinem Lösungsportfolio breit aufgestellt. Der gesamte Wertschöpfungsprozess von der Kundenakquise über die Angebotserstellung und Auftragsgenerierung und -verwaltung bis hin zur Rechnungsstellung kann über D365 abgebildet werden. Dabei, so die Aussage, stellt Microsoft über 5.000 developer extensibility points bereit, an denen ISV-Lösungen andocken können.

Immer wichtiger wird auch im Bereich der ERP-/CRM-Lösungen das Thema „Künstliche Intelligenz“. „AI + Automation + Analytics“ – so sieht Microsoft die Schwerpunkte der künftigen Weiterentwicklung der D365 Produktpalette. Ziel dabei ist es, durch lernende Systeme und die natural language AI-Schnittstelle „Copilot“ sowie eine fortschreitende Automatisierung von regelbasierten sich wiederholenden Prozessen deutlich schnellere intelligente Lösungen bereitzustellen. AI im Sinne von „Augmented Intelligence“ soll es wesentlich erleichtern, Reports zu erstellen und den jeweils aktuellen Fragestellungen anzupassen – ein Ansatz, der über die bislang weit verbreitete Nutzung von PowerBI deutlich hinausgeht. Auf diese Weise möchte man den Unternehmen Wege erschließen, sehr viel schneller und einfacher Erkenntnisse über die eigenen Prozesse zu erlangen und so zu erfolgversprechenden Entscheidungen zu kommen.

Zwei kurze Videos, die insbesondere die Einbindung von AI und die Nutzung der Schnittstelle „Copilot“ zeigten, rundeten den Vortrag von Michael Gall ab.

Die umfangreichen AI Features werden ab Q4/2023 verfügbar sein, aber voraussichtlich zunächst für US-Tenants.

In der Q&A Session zu dieser hoch interessanten und informativen Präsentation wurde deutlich, wo die Anwenderunternehmen besondere Herausforderungen sehen:

  • Wie sieht es mit der Data Privacy und der Compliance im Hinblick auf europäische Datenschutzvorschriften (DSGVO) aus?
    Welche Daten wandern wann in welchem Umfang und warum wohin?
    Es ist hinlänglich bekannt, dass die Anwendung von AI von vielen Menschen skeptisch betrachtet wird und erst kürzlich sogar von AI Lösungsanbietern selbst kritisch hinterfragt wurde. Hier ist sicherlich noch eine Menge Aufklärungsarbeit zu leisten!

  • „Diese Neuerungen in D365, insbesondere auch die massive Einbindung von AI, sind ein markanter Niveausprung und eröffnen völlig neue Möglichkeiten“, so ein Teilnehmer.
    Doch die Herausforderung bei der Umsetzung dieser Potentiale: Wie bekommen wir die Chefs dahin, diese Möglichkeiten wirklich nutzen zu wollen? Wie können wir die Mitarbeitenden in die Lage versetzen, diese Möglichkeiten zu nutzen? Wie bekommen wir den Betriebsrat mit ins Boot?
    Anders ausgedrückt: All diese Neuerungen und Weiterentwicklungen bedingen einen umfangreichen Transformationsprozess, führen notwendigerweise zu Qualifizierungsinitiativen und werden sich auch in veränderten Prozessen niederschlagen müssen, will man alle Potentiale heben.

  • Wie wird ein solcher Transformationsprozess bei global agierenden Unternehmen aussehen müssen? Wie werden künftig internationale RollOut’s strukturiert sein müssen, wenn man unternehmensweit ein solch mächtiges D365 einsetzen möchte?

Leider konnte aus Zeitgründen Christian Mainka seine Präsentation dann nicht mehr halten. Wichtige Vorankündigung an dieser Stelle: Es wird ein weiteres Treffen zu D365 geben, in dem Christian Manka dann ausführlicher zum Thema „Power Platform Strategie – Do More With Less Through Low-Code, Die Vernetzung der Produkte im Business App Umfeld“ zu Wort kommen wird. Sicherlich wieder ein spannender Termin, zumal ja das Thema Power Platform – wie auf beim diesjährigen mbuf Jahreskongress zu spüren – bei vielen Unternehmen derzeit Thema ist.

Umstieg auf D365 in der Cloud – Erfahrungen aus erster Hand…

In einem zweiten Block berichteten in zwei Impulsvorträgen zunächst Werner Landsperger, CIO der Grünbeck Wasseraufbereitung GmbH, einem international agierenden Anlagenbauer aus Höchstädt a. d. Donau, und danach Raimund Heinle, CIO der Baumit GmbH, der deutschen Niederlassung des österreichischen Baumit Konzerns (Hersteller und Händler für Baustoffe) von ihren Erfahrungen beim Umstieg auf D365 und der Nutzung dieser Lösung.

Bei Grünbeck entschied man sich 2020 zum Umstieg aus der ursprünglichen Axapta Umgebung hin zu zur cloud-basierten Lösung D365 F&O. Der Umstieg an sich gelang gut. Im Betrieb sieht man folgende Herausforderungen:

  • Kein unmittelbarer Zugriff auf die Hardware
    Es wird als sehr vorteilhaft bewertet, sich nicht um die Hardware-Plattform kümmern zu müssen. Aber beim Monitoring und bei der Fehlersuche zum Beispiel bei Performance-Einbrüchen ist es schwierig, mögliche Hardware-Probleme zu lokalisieren.

  • Rein in die Cloud heißt, zurück zum Standard, weg vom Customizing
    ERP-Lösungen leben in vielen Unternehmen vom intensiven Customizing. Im Falle einer Cloud-Lösung wie D365 muss man nahe am Standard bleiben und muss notwendige Anpassungen auf anderen Wegen (z.B. 3rd Party Lösungen) realisieren. Das erfordert ein komplettes Umdenken und ggf. zusätzliche Investitionen.

  • Die Update-Zyklen beim Evergreen-Ansatz sind ressourcenfressend
    Es müssen mindestens 14 Tage pro Update für den isolierten Roll-Out in einer Testumgebung, das Testen an sich und das eventuell notwendige Einspielen von Hotfixes eingeplant werden. Das macht bei drei Update-Zyklen pro Jahr einen Aufwand von rund anderthalb bis zu zwei Monaten aus.
    Als besonders schwierig wird das Feature Management gesehen: Was bringen neue Features an neuen Funktionen, welche Features werden gebraucht, welche Features sind (oder werden mit diesem Update) „mandantory“?

Bei der Baumit GmbH wurde 2019 entschieden, mit D365 F&O in die Cloud zu gehen. Man migrierte aus einer Oracle E-Business Suite (Oracle EBS) Umgebung. Die deutsche Niederlassung war im Konzern Vorreiter mit diesem Umstieg. Seit Anfang 2022 ist die Umgebung vollständig live. Man hatte bewusst für das going live den Zeitraum um den Jahreswechsel gewählt, weil in dieser Zeit die Bautätigkeit geringer ist. Der Umstieg gelang sehr gut – es gab keine nennenswerten Probleme. Den Umstieg in die Cloud sieht man als großen Vorteil, weil nun z.B. der Schutz des ERP-/CRM-Systems vor Angriffen mit Ransomware nicht mehr im eigenen RZ gewährleistet werden muss. Und auch der plötzlich notwendige corona-bedingte Umzug ins HomeOffice gelang so wesentlich einfacher.

Auch die drei Pflicht-Releasewechsel beim Evergreen-Ansatz sieht man als Vorteil. Dieser Zwang erspart nervige Diskussionen im Management und mit den Anwendern, das System ist und bleibt stets auf einem aktuellen Stand.

Probleme sieht man beim Zugriff auf Daten aus anderen Systemen heraus (z.B. für „gemischte“ Reports wichtig) sowie beim Anbinden externer Systeme generell (z.B. Fahrzeug-Waagen zur Verwiegung von Schüttgut-Transport-LKW’s). Auch der Umstieg auf Microsoft DataLake als zentrales Repository für die Unternehmensdaten erwies sich teils als schwierig, weil z.B. berechnete Felder nicht übernommen wurden.

Insgesamt ist aber der Eindruck sehr positiv und in den kommenden Jahren soll D365 in der gesamten Baumit Firmengruppe ausgerollt werden.

Welche Themen brennen den mbuf Mitgliedsunternehmen unter den Nägeln?

Der dritte Block an diesem Tag war der künftigen thematischen Ausrichtung der mbuf Dynamics Arbeitsgruppen gewidmet. Als wichtige Themen wurden genannt:

  • Die Möglichkeiten von AI kennenlernen / Erfahrungsaustausch zur Nutzung von AI Schnittstellen wie Copilot

  • Erfahrungen mit „unified support“

    – zu teuer oder eher im Sinn einer Versicherung für den worst case zu sehen?

    – ist schnelle Hilfe nur ein Versprechen oder funktioniert dieser Support?

    – kann Multi Vendor Support von Dienstleistern eine Alternative sein?

  • RollOut- und Testmanagement

    – wie kann man Testabläufe optimieren?

    – wie kann man Zeiten für notwendige Tests reduzieren?

    Erfahrungen mit internationalen RollOut‘s

  • Möglichkeiten von automatisierten Testabläufen

    – welche Bordmittel gibt es in D365?

    – welche 3rd Party Tools gibt es?

    Erfahrungsaustausch zur Nutzung solcher Tools

  • Einsatzmöglichkeiten von PowerApps

    – ist wie ein riesiger Baukasten, aber es fehlt an Übersichtlichkeit (welche App für was?).

    – wie können ggf. Microsoft Partner unterstützen?

    – was wird ggf. über Microsoft AppSource bereitgestellt und wie geht man damit um?

    – Performance-Probleme durch PowerApps?! Erfahrungsaustausch…

  • Feature Management

    Wie bekommt man die Vielfalt der Features in den Griff und kann Wichtiges von eher Unwichtigem trennen?

    Wie behält man im Auge, was „mandantory“ ist oder mit neuem Release wird?

Sie haben weitere Themen, die Sie hier „reinkippen“ möchten? Melden Sie IHRE Themen an info@mbuf.de – eine Community lebt von der aktiven Mitarbeit aller und dem Austausch untereinander!

SIE bestimmen, welche Themen in den mbuf Dynamics Arbeitsgruppen behandelt werden. Und am Ende bestimmen SIE sogar, welche Arbeitsgruppen oder Arbeitskreise es gibt – oder auch welche es irgendwann einmal nicht mehr gibt, weil das Interesse erloschen ist.

Bluestar PLM – embedded Product Lifecycle Management in D365

Der vierte und letzte Block an diesem interessanten Nachmittag beschäftigte sich mit Bluestar PLM. Jørgen Schiønning Larsen, CEO der Bluestar PLM in Dynamics D365/AX by PDM technology Group aus Nord-Jütland (Dänemark), zeigte in einer rund einstündigen Live-Demo, wie mit diesem PLM Tool innerhalb von D365 sehr viel leichter…

  • … die Entwicklung neuer Produkte aus bestehenden Produkten heraus (Re-use“)

  • … die Erzeugung und Verwaltung von Varianten

  • … die nachvollziehbare Änderung an bestehenden Produkten

  • … die Sicherstellung von Freigabeprozessen

erfolgen kann. Eine einstündige Demo hier in Textform wiederzugeben, würde den Rahmen dieses Berichtes deutlich sprengen. Aber mit Sicherheit ist Bluestar PLM ein Tool, das man sich anschauen sollte, wenn PLM zum Thema wird.

Fazit

Dynamics 365, die aktuelle ERP-/CRM-Lösung von Microsoft, hat mächtig aufgerüstet. Neue Features, ein sehr breites Feld der Anwendungsmöglichkeiten, die Integration von leistungsstarker AI – all das hat manchen Teilnehmer am heutigen Tag aufhorchen und staunen lassen. Aber – ein kleiner Wermutstropfen: die mächtigen Möglichkeiten müssen von der IT in den Unternehmen verstanden und gemanaged werden, die User müssen mitgenommen werden (Schulung / Weiterbildung), soll die Vielfalt der Möglichkeiten nicht ungenutzt bleiben. Die dazu notwendigen personellen und zeitlichen Ressourcen müssen vorhanden sein respektive geschaffen werden – ein in Zeiten von Fachkräftemangel und sowieso schon anstehenden Veränderungsprozessen (NewWork, Digitale Transformation etc.) ein nicht einfaches Unterfangen.
Für die mbuf Arbeitsgruppen im Dynamics Bereich gibt es mehr als ausreichend Stoff für künftige AG-Treffen (hoffentlich dann auch wieder als Präsenztreffen face-to-face). Für die Community unerlässlich ist hierbei, dass sich alle Community-Mitglieder aktiv einbringen und so einen fruchtbaren Austausch untereinander und mit Microsoft sicherstellen.